TRANSZENDIEREN!
 
 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend 

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, 

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend 

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. 

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe 

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, 

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern 

In andre, neue Bindungen zu geben. 

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, 

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
 
 

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, 

An keinem wie an einer Heimat hängen, 

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, 

Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten. 

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise 

Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, 

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, 

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
 
 

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde 

Uns neuen Räumen jung entgegen senden, 

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden . . . 

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!



 
 
 
 

Hermann Hesse, 1961